MTK-Akademie

Musik, Tanz, Kunst, Poesie

Poesietherapie / Ton-Psychologie

„Man widerspricht oft einer Meinung,
während uns eigentlich nur der Ton,
mit dem sie vorgetragen wurde,
unsympathisch ist.“
(Friedrich Nietzsche)

„Hörst du nicht den rechten Ton?“ heißt es in der Oper „Der Mond“ von Carl Orff.

„Der Ton macht die Musik“ ist ein altbekanntes Sprichtwort. Es spielt in den künstlerischen Therapien eine hervorgehobene Rolle, insbesondere in der Poesietherapie.

„Ton-Psychologie ist nicht mit Tonpsychologie gleichzusetzen. Während jene hauptsächlich die von Carl Stumpf begründete Lehre von der Schallwahrnehmung meint, bezieht sich Ton-Psychologie auf Geschehnisse, die in der Kommunikation mitschwingen und oft mit Klang oder Ton umschrieben werden.

Bei den Begriffen Klang und Ton handelt es sich um sehr schillernde Begriffe voller Überschneidungen in ihren Bedeutungszuschreibungen, hinter denen widerstreitende Auffassungen von Kunst allgemein und Musik im engeren Sinn bis hin zu Fragen von Wahrnehmungsperspektiven und Spiritualität miteinander ringen.

Ton-Psychologie als vornehmlich bildgebendes Verfahren betont die Bedeutung der Konkretisierung des mit dem vordergründig Hör- und Beobachtbaren einhergehenden strukturellen Hintergrunds von Musik und Patient durch Visualisierung ihrer Bewegungsspuren und erlebnisphilosophischen Schichten.“ (Zusammenfassung 2013)

Angesichts der oftmals zu beobachtenden Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit eignet sich die Bezeichnung „Ton-Psychologie“ besser als die laut einer 2020 vorgelegten Dissertation vom Verfasser stammende, 1985 erstmals verwendete, längst von jedermann auch ohne künstlerisches Studium verwendete Bezeichnung „Künstlerische Therapien“ (siehe Editorial zum 30-jährigen Bestehen der 1987 gegründeten Zeitschrift „Musik-, Tanz-, Kunsttherapie – Zeitschrift für Künstlerische Therapien“).

In der MTK-Ausgabe 2020-2, S. 131-150, wird Ton-Psychologie unter dem Aspekt „Bild in der Musiktherapie?“ behandelt.

https://www.psychologie-aktuell.com/journale/mtk/bisher-erschienen/inhalt-lesen/2020-21.html

Musik ist geistfähigs Material. Im Musizieren können wir uns in vergangene musikalische Schilderungen, Stimmungszustände und emotinale Äußerungen einfinden und im musikalischen Improvisieren unseren eigenen Ausdruck unserer Gefühle und Stimmungen schulen. Der Mensch ist seit Urgedenken im Wesentlichen anatomisch, neurologisch und psychisch gleichgeblieben. Zeitbedingt haben sich die Enkulturation geändert. Das Wissen und Nachempfinden der Gefühlslagen früherer Epochen und der Umgang mit Stilen anderer Persönlichkeiten lässt spannende Erfahrungen machen, die zum Vergleich mit der eigenen musikalischen Expressivität anregen.

–> siehe: Musiktherapie ohne Ablenkung: Der Weg und das Ziel sind der heilsame Flow (psychologie-aktuell.com)

Der Ton als Klang der Stimme und als Spannungszustand und Spanungsduktus offenbart dem Gegenüber unmittelbar und unverfälscht die momentane Befindlichkeit und möglicherweise überdauernde Lebensgrundstimmung eines Sprechenden. Beim gezielten Hören auf den Ton, das der visuellen Kontrolle der eigenen Wahrnehmung bedarf (z. B. einen Vertrag schwarz auf weiß zu besitzen, ist sicherer als eine mündliche Zusage), geht die Beachtung der körperlichen Spannungssignale des Gegenübers einher. Sie verrät die körperliche Verspanntheit oder gar Verkrampfung ebenso wie ihr Gegenteil oder ihr gesundes, bedarfsangemessenes Jonglierenkönnen zwischen den aus dem Ton der Stimme  entnehmbaren Affekten. Siehe die folgende schematische Hierasrchie von Lebensgrundstimmung, ihrer Erlebnistönung und Affekte.

Bei all den als heilsam gelobten Wohltaten, die bei der Werbung für Musiktherapie bzw. für die künstlerischen Therapien aufgezählt werden, wird nahezu nie erwähnt, dass sie auch Nebenwirkungen oder gar kontraproduktive Effekte haben können. Das Fatale daran ist, dass besonders der Wohlklang von Musik als genuiner Repräsentation von Ordnung und Struktur dazu neigt, zu verschleiern oder vergessen zu machen, dass eine ihrer sogar hauptsächlichen Funktionen es ist, die „grauen Stunden“ und die unangehme Realität zugunsten des Entrückens in eine „bessere Welt“ vergessen zu machen, wie es in dem die Weltflucht als Lebensgrundstimmung der damaligen Epoche der Romantik wiedergebenden beruhigenden Lied „An die Musik“ von Franz Schubert heißt. Diese Eingenschaft des Einlullens und Ablenkens ist oftmals der von Hirn- und Psychotherapieforschern wie Gerhard Roth 2014 festgestellte Grund dafür, dass eine scheinbar gelungene Therapie die Bezeichnung Therapie nicht verdient und damit den Patienten unverantwortlich belügt. Auch wenn es sich in der Musiktherapie keineswegs um weitgehend unergiebiges Zeit verbrauchendes Geklimper, sondern um ein Musieren handelt, das die psychische Gestimmtheit und die psychodynamische Spur einer Gefühlsentwicklung eines Patienten individuumsbezogen aufzufangen und mit- und nachgestalten kann, so ist es eben auch das Wesen von Flow, im Augenblick seines Wirkens alles Außermusikalische und damit auch jenes Belastende, dessentwegen Patienten zur Musiktherapie kommen, zu verdrängen. „Verweile, du bist so schön„, ist aber ein kaum je erreichbarer Wunsch. Noch dazu mag der Komponist noch so sehr betonen, dass seine Musik reine l’art pour l’art sei und nur das Erfassen der reinen, absoluten Musik meint, so gibt es eben doch noch zwei weitere Instanzen: den Interpreten, der das Erklingen von Musik seiner Auffassung gemäß ermöglicht, und letztlich den Hörer, dessen Gehirn nie ruht und ständig Assoziationen produziert.

Somit kann es in einer Therapie, die den Namen verdient, nur darum gehen, eine Einstellung und ein Verhalten zu fördern, das die Diskrepanz zwischen der Erwartung und meist nur regressiven Sehnsucht nach der symbiotisch rückgebundenen und idealen Innenwelt mit der zum Schutz vor den Augen der anderen aufgesetzten Maskierung in der Außenwelt der Realität zu vereinbaren. Diese Annäherung von augenfälligem Erscheinen gemäß dem Mainstream als den sozial erwünschten oder geltenden Normen kann zu jenem geronnenen Verhalten führen, das Franz Lehar in seiner Operette „Land des Lächelns“ dargestellt hat: „Immer nur lächeln… doch wie’s da drin aussieht, geht niemand was an.

Der eigene Ton ist unmittelbarer und ehrlicher als das bei Patienten meist noch ungeschickte Hantieren mit Klangmaterial, das eher einem Erlebnisgetriebe Vorschub leistet als ein psychisch nachwirkendes Erlebtes klanglich reflektiert und verarbeitet oder eine vorwärtsschauende, mehr oder weniger nebulöse Perspektive musikalisch ausformt.

Siehe Ton-Psychologie und Künstlerische Therapien.